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Würzburger Krawalle - Die etwas andere Stadtführung

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Würzburger Krawalle
Die etwas andere Stadtführung der KHG

Montag, 13.5., Innenstadt, Würzburg

Die beeindruckende Stadtführung „Würzburger Krawalle" wird von Wolfgang Jung seit rund einem Jahr angeboten und sollte für echte Würzburger genauso Pflicht sein, wie eine Runde mit dem Nachtwächter. Der Name ist Programm, Treffpunkt der Frankoniabrunnen vor dem Würzburger Weltkulturerbe. Wolfgang Jung, freier Journalist, empfängt die Interessierten zu einer 90-minütigen Stadtführung der etwas anderen Art.

Würzburg, 13.5., 19.30 Uhr. Eingeladen zu der Stadtführung hat die Katholische Hochschulgemeinde. „A weng' wärmer könnt's sein.", krawalliert einer der Anwesenden und leitet ganz im Sinne des Führers den Abend ein. Mit Ordner und spitzer Zunge bewaffnet, erklärt Wolfgang Jung zu Beginn, dass Würzburg auf eine lange Tradition von Krawallen blickt. Seit Jahrhunderten seien die unterfränkischen Köpfe „stur" und „eigenwillig", was sich sowohl in blutigen Aufständen, als auch in ironischen Polit-Streichen zeigt. Das erste Beispiel stellt der Würzburger Bürgermeister Zürn: Dieser engagiert als Landschaftsgärtner der Stadt den Schweden Jöns Person Lindahl. Nicht genug, dass ein Nicht-Würzburger für den Posten ausgewählt wurde – er war zudem Protestant. Jung zitiert aus dem Würzburger Volksblatt den einschneidenden Satz: Mit Lindahl sei „ein Schwede in Würzburg, der die Stadt schlimmer verwüstet als seine Landsmänner im 30-jährigen Krieg." Mit der „Rücksichtslosigkeit eines Feldherren" habe der – in München würde man sagen – „zuagroaste" Fremdling gewütet und ohne Feingefühl seine Pläne durchgesetzt. Das Würzburger Geld trägt er nach Berlin um von dort Bäume zu erstehen – als gäbe es hier kein stammiges Blattwerk?! Der Druck auf den nordischen Gärtner war indes so hoch, dass er sich nach dem Tod seines Gönners Zürn 1884, 1888 im Abort (Ottostr. Ecke Münzstr.) erschießt.

Das ästhetische Bewusstsein für das eigene Stadtbild ist bis heute sehr ausgeprägt. Auch wenn es nicht mehr in blutigen Aufständen gipfelt, so wird sich ein jeder Stammtisch über den Neubau am Schlosshotel oder den Hotelturm das Maul zerrissen haben. Nach einem kurzen Halt am Paradeplatz, geht es weiter gen Kardinal-Döpfner-Platz. Namensgeber des Letzteren und Bischoff der Stadt erschwerte nicht nur Adenauer den Wahlkampf mit seiner unkooperativen Art, er zog den Zorn des gesamten Landkreises auf sich, als er sich bei der Einweihung einer Fabrik protestanto-phop zeigte und dem evangelischen Vertreter verbot eine Weihung dieser Halle durchzuführen. Wie hier war die Akzeptanz der WürzburgerInnen auch beim Erhöhen des Bierpreises nicht sehr hoch. Steine flogen. Zum gemeinsamen Wurf traf sich die Stadt auch, als Lola Montez, „Liebchen" des bayerischen Königs Ludwig I. den Würzburger Hofgarten zum Gassi gehen mit ihrem Hund aussuchte. Nachdem der Würzburger Wachmann, wohl mit den Worten „ned mid der Döle", versuchte ihr den Eintritt samt Vierbeiner zu verwehren, antwortete sie händisch und gab ihm eine Ohrfeige. Als man sah, wie sich die als schroff und aufmüpfig bekannte irische Tänzerin gegenüber der Würzburger Autorität verhielt, wurde nicht lange gefackelt und samt Fackel gegen ihre Bleibe gezogen. Wolfgang Jung berichtet von einem armen Bediensteten, der in dicke Laken gepackt und mit einer Kutsche aus der Bleibe Montez geschickt wurde. Steine und Schimpfworte flogen. Der Knecht blieb unverletzt und die WürzburgerInnen feierten ihren Sieg über das „Liebchen des Königs". Sie selbst verlies nachts still und heimlich über unbekannte Wege die Domstadt und schrieb, dass sie froh war, lebendig aus Würzburg gekommen zu sein. Weiter zum Neumünster und ein kurzer Exkurs über das Fälschen von Urkunden – denn es fiel den Bischöfen ein, dass es keine rechtskräftigen Dokumente gab, die ihr Bischofsein in und über Würzburg festigten – weiter zur Statue von Julius Echter. Auf dem Weg erzählt der durch seinen Vollbart und dunkle Mütze fast friesisch wirkende Franke vom „dada". Die Strömung, bzw. der „dada" schrieb Briefe an Stadtrat und Bischoff. Ersterer wurde mit sofortiger Wirkung abgesetzt und Letzterem offeriert, dass Gott beim Poker den Würzburger Dom verloren hätte und dieser nun sofort zu räumen sei. Die findige Idee der WerkstattBühne schlug sogar bis in Sitzungen des Landtags und sorgte bei allen Nicht-MandatsträgerInnen für heitere Stunden.

Bei Echter angekommen schildert Jung unverblümt die Grausamkeit und das Forsche Vorgehen des Namensgebers eines hiesigen Weißbiers. Durch die Androhung von Mord erlangte er die Schirmherrschaft über Fulda und ließ zahllose „Hexen" und „Zauberer" verbrennen. „Im Schnitt gab es wohl keine Familie zur damaligen Zeit, die in ihre Sippe keine Verluste zu verzeichnen hatte", so Jung. Während der letzte blutige Krawall der WürzburgerInnen 1525 von statten ging, lies sich Echter nicht lang bitten, mit Gewalt eigene Interessen durchzusetzen. Was zum Teil mit guten Gedanken begann, endete im Falle des Juliusspitals mit einem Bau auf einem jüdischen Friedhof. Als „spartanisch lebender Frauenfeind" beschreibt Wolfang Jung den heute angesehenen Mespelbrunner. Im Rückblick kann man ihn jedoch als Wegbereiter des 30-jährigen Krieges nennen, denn als Anführer der katholischen Liga – und vor allem durch seine strickt katholische Politik – war seine Person gefürchtet und nicht gerade angesehen bei Zeitgenossen. Die geplanten 90 Minuten sind verstrichen, doch die letzte Station in der Pleich wartet – und ein Nazijäger lauert. Elmar Herterich sein Name. Der Nervenarzt sorgt für brisanten Stoff. Er zeigt auf, dass eine reihe honoriger Würzburger eine aktive NS-Zeit hinter sich haben und entlarvt so Verwaltungsgerichtspräsident Rudolf Schiedermaier als Reichsleiter der Stelle „Gesetzgebung" im Rassenpolitischen Amt der NSDAP. Der Generalstaatsanwalt Karl Klob als erster Staatsanwalt eines NS-Sondergerichts und Landesgerichtsdirektor Georg Eisert als Vollstreckungsleiter bei Hinrichtungen am Volksgerichtshof überführt er ebenfalls. Stadtrat und Vorsitzender der Kronprinz Rupprecht von Bayern-Stiftung, Adalbert Wolpert, überführt er als Vertrauten des NS-Gauleiters Otto Hellmuth. Herterich entdeckt zudem die Dissertation des Würzburger Oberbürgermeisters Zimmerer. In dieser stellt er eine Rassetheorie auf und bekennt sich mit den Worten „Da es eine wertfreie Wissenschaft nicht gibt, muss auch jede wissenschaftliche Arbeit ihre weltanschaulichen Fundamente aufzeigen. Diese fußen für uns vor allem im Buch des Führers ,Mein Kampf' und im Programm der NSDAP." zu seiner These: „Das rassische Denken muss naturgemäß den größten Einfluss auf die Gestaltung des Staates und seiner Einrichtungen haben. Mit der Anerkennung der ewigen Gesetze der Vererbung und Auslese erhalten auch die Begriffe Staat und Volk einen biologischen Bestandteil." Während Zimmerer mit diversen Rechtfertigungen reagierte, zitiert die Süddeutsche Zeitung in den 60ern seine eigene Gegendarstellung: „Ein ehrenhafter Mann kann – weiß Gott – in seiner Jugend radikalen Unsinn gemacht haben und trotzdem zu politischer Tauglichkeit aufwachsen." Am ärgsten trifft der Zorn der Braunen den Nazijäger Herterich selbst. Am 10. Januar 1963 zerschlagen Kugeln ein Fenster seiner Wohnung in der Gertraudgasse 3 – Schütze unbekannt. Herterich hat derweil bis zu 80 Verfahren gleichzeitig am Hals und Würzburger Richter verurteilen ihn zu Gefängnisstraßen. Dazu meint der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der selbst NS-Verbrecher aufspürte: Würzburg werde „von einer nazistischen Clique terrorisiert", die Nazis hätten die erste Runde gewonnen. Die gesamte Medienlandschaft berichtet. Zimmerer bleibt im Amt. Eine Stadt, geprägt und gezeichnet von Ereignissen, Strömungen und vor allem den Menschen die darin leben. Mia san mia, sagen die Bayern. Danke, sagt Wolfgang Jung und verabschiedet sich.