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Podiumsdiskussion zur europäischen Flüchtlingspolitik in der Würzburger KHG

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Sterben im Mittelmeer
Podiumsdiskussion zur europäischen Flüchtlingspolitik in der Würzburger KHG

Dass die Empfindung von Lebensqualität immer eine Frage der Wahrnehmung ist, zeigt sich an der aktuellen Diskussion um die Lage in Europa. Wirtschaftskrise und Unzufriedenheit mit der politischen Führung bestimmen die Schlagzeilen in vielen europäischen Ländern. Dennoch steht unser Kontinent für zahllose Menschen aus Krisenregionen als mögliche Rettung vor Armut und Verfolgung. Bei der Frage, wie wir mit diesen Schicksalen umgehen, welche Verantwortung wir tragen und welche Chancen und Grenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen bestehen, werden kontroverse Standpunkte vertreten. Ob die „Festung Europa“ eine dauerhafte und humanitär vertretbare Lösung für die Zukunft sein kann, war Thema bei einer Podiumsdiskussion in der Würzburger KHG. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe „Würzburg feiert 40 Jahre Europapreis“ statt.

Nicht zufällig stieß dieser Gesprächsabend gerade in Würzburg auf ein großes Publikumsinteresse. Der Hungerstreik iranischer Flüchtlinge im vergangenen Jahr hat die Öffentlichkeit für dieses Thema in der Stadt ebenso sensibilisiert, wie das mutige Kirchenasyl auf Initiative der KHG: Vor einem Jahr gewährte die Hochschulgemeinde einem äthiopischen Flüchtling Schutz. Im Dezember konnte das Kirchenasyl erfolgreich beendet werden. Zudem versucht der Asyl-AK seit drei Jahrzehnten Betroffenen in der Gemeinschaftsunterkunft eine Hilfe zu sein und ihre Not in der Fremde zu lindern. Um auch die großen Zusammenhänge darzulegen und sich Ursachen und Möglichkeiten bewusst zu werden, hatte die KHG zum Gespräch eingeladen. Moderator des Themenabends war Hochschulpfarrer Burkhard Hose.

Die Gäste des Abends sprachen zwar aus verschiedenen Erfahrungsbereichen über Schicksale von Flüchtlingen, waren sich aber in einem Punkt sofort einig: Europa kann in Zukunft keine Festung bleiben, sondern muss sich der Welt öffnen.

Karl Kopp, Europareferent von „Pro Asyl“ beklagte das moralische Defizit der Europäer. Den Aufnahmestaaten ginge es im Grunde nur darum, die Flüchtlinge schnell weiterzuschieben, um selbst keine Verantwortung tragen zu müssen. „Von der Lösung der eigentlichen Fragen entfernen wir uns immer mehr.“ Wie schließlich mit den ungebetenen Gästen von Seiten der Behörden umgegangen wird, wusste Seelsorger des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Dieter Müller zu berichten. Die Menschen irren umher und dort, wo sie zunächst bleiben dürfen, werden sie „in den Keller gesperrt“, sodass sie sofort wieder weg möchten. Mit diesem Bild beschrieb Müller die zugige und abweisende „Festung Europa“, wie er sie im Gespräch mit Flüchtlingen immer wieder kennenlernt.

Abay Kiros hat genau das selbst erlebt und versucht, seine Rolle als Flüchtling gar nicht erst wahrzunehmen. „Ich wusste, dass andere mich so sehen, aber durch die Ablehnung bin ich stark geworden.“ Nicht jeder hat so viel Persönlichkeit, eine Reise ins Ungewisse so zu bewältigen. Wie ernüchternd die Erfahrungen im Alltag sein können, wenn man sich mit Schicksalen von Flüchtlingen beschäftigt, erlebt Mirjam von Bibra, Mitglied des Asyl AK und Ärztin beinahe täglich. Ihre Reaktion darauf ist allerdings nicht Resignation, sondern der Wunsch, gemeinsam noch mehr Engagement zu zeigen. Und das kann sogar noch im Rentenalter richtig losgehen: Stefan Schmitt entschied sich am Ende seines Berufslebens als Schiffskapitän der Cap Anamur für humanitäre Einsätze in See zu stechen. Unfreiwillig wurde er zum Helden und Angeklagten, als er schiffbrüchige Flüchtlinge aufnahm und unerlaubterweise in Italien an Land brachte. Während er von allen Seiten Anerkennung erfuhr, wurde ihm der Prozess gemacht. Als Flüchtlingsbeauftragter für Schleswig-Holstein ist er seiner Idee treu geblieben.

„Europa lässt die Menschen sterben“, fasste Kopp den Kern des Problems zusammen. Es gelte die Devise, wegzuschauen, statt aktiv zu helfen. Die politische Idee, humanitäre Lager vor Ort zu errichten, sei nicht realistisch. Der einzige Weg, das vorprogrammierte Sterben zu verhindern, sei eine legale Einreisemöglichkeit nach Europa.

Besonders kritisch setzten sich die Podiumsteilnehmer mit FRONTEX auseinander. Sie sahen in dieser Art des Grenzschutzes eine „saubere Art der Kriegsführung“, die Behörden aller europäischen Länder in die Pflicht nimmt. Mit einem riesen Etat wird dafür gesorgt, eine immer größere Zahl von Menschen abzufangen und abzuschieben, während für die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge kaum Gelder zur Verfügung stehen.

Auch im Gespräch mit dem Publikum war die Leitlinie des Abends eindeutig: Wir brauchen ein Europa der offenen Türen mit legaler Einwanderung. Diese gemeinsame Position aller Podiumsteilnehmer ist allerdings weit entfernt von der politischen Realität und der Haltung der Entscheidungsträger. Hoffnung auf Bewegung in dieser Frage machen das ungebrochene Interesse für die Flüchtlingsproblematik sowie das Engagement vieler Aktivisten: Sei es eine couragierte Schiffscrew auf dem Mittelmeer oder der Asyl-AK in der Würzburger KHG.

Jan Weismantel