„Mit der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft“ – diesen Leitspruch verfolgt seit Langem Heilpädagoge Karlheinz H. Arndt. Der freiberufliche Erwachsenenbildner gibt Seminare zum Thema „Biographiearbeit“. Am Samstag leitete er hierzu einen Workshop zur Arbeit mit Menschen mit und ohne Handicap in der Katholischen Hochschulgemeinde Würzburg und freute sich, dass er auf so viele interessierte Studenten „vom Fach“ traf.
Denn organisiert wurde der Workshop von und für die Arbeitskreise „Von Mensch zu Mensch“. In diesen Gruppen treffen sich Menschen mit und ohne Handicap um gemeinsam Zeit zu verbringen und Unternehmungen zu machen. Zusammen kochen, ein Cafe besuchen, basteln oder ein Ausflug auf das Kiliani Volksfest - beim Freizeitclub, dem Dienstags- und Donnerstagstreff oder dem Teenie-Freizeitclub gibt es für alle viel zu erleben. Und natürlich kennen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer untereinander, sie wissen wie es dem anderen geht. Doch was die Menschen mit Handicap vor der Arbeitskreiszeit erlebt haben, wo sie wie aufgewachsen sind, Lieblingsessen oder Lieblingsplätze, kennen die Studenten oft nicht.
Hier setzt die Biographiearbeit an. Für Karlheinz Arndt ist Biographiearbeit mehr als eine Methode. Für ihn ist es eine Haltung. Denn es geht bei dieser Arbeit nicht darum, neugierig in der Vergangenheit eines Menschen herum zu wühlen, sondern auch Grenzen zu erkennen und diese zu respektieren. Der Erzählende hat ein „Recht auf Schweigen“, aber auch auf Verdrängen. Außerdem soll mit den Stärken der Personen gearbeitet und somit Potenziale gefördert werden. Um aber mit der Biographie des Anderen zu arbeiten, müssen sich die Verantwortlichen auch ihrer Biographie stellen und diese reflektieren können. Das Motto lautet also „Von meiner Biographie zu deiner.“ Mittel dieser Reflexion und der Biographiearbeit durften die Studenten am Samstag in vielen Übungen selbst ausprobieren. Bei einem „Biographiemarktplatz“ lernten sich die Studenten untereinander kennen, während sie sich beispielsweise nach den Geburtsorten anhand von Himmelsrichtungen im Raum aufstellten. Ein Arbeitsblatt half ihnen auf ihre bisherige Biographie zurückzublicken. Schlagworte wie Familie und Freunde fielen dabei bei allen Teilnehmern. Arndt machte klar, dass sich auch bei Menschen mit Handicap die gleichen Themen finden, die aber anders erlebt werden. Das Anregen und „Aufspüren“ von Erinnerungen ist ein zentraler Punkt bei der Biographiearbeit. Erinnerungen können beispielsweise mit einer „Erinnerungskiste“ „wiederholt“ werden. In diese Kiste werden Zettel mit geschriebenen Erinnerungen gelegt – es können zum Beispiel Wörter, Sätze aber auch nur Symbole sein, die eine ganze Lebensgeschichte erzählen können. Dabei stellte der Heilpädagoge aber klar: Eine Biographie ist nicht komplett und allumfassend, sondern besteht aus Bruchstücken, je nachdem wo sich der Mensch gerade befindet. Außerdem ist die Biographie immer subjektiv, nie abgeschlossen, sie kann geordnet werden und sie gibt keine Entscheidung über „richtig oder falsch.“
Bei Menschen mit Behinderung bedarf die Arbeit mit der Biographie oft Handlungen und Aktivitäten. So können beispielsweise einer „leichten“ Feder Dinge zugeordnet werden, die die Menschen mögen und einem „schweren“ Stein, Dinge, „die ihnen schwer fallen.“ Auch ist es möglich, der eigenen Biographie Symbole zuzuordnen und einen Leitsatz der Biographie zu formulieren. Kleine Gedichtverse, sogenannte Elfchen, zu bestimmten Themen, das Sammeln von Lieblingsrezepten und das Nachkochen, Plakate zu Wohnorten oder dem Familiennamen – das Feld an Möglichkeiten der Biographiearbeit ist sehr breit. In eine Schatzkiste darf man beispielsweise auch Gegenstände „von früher“ legen und immer wieder hervorholen. Das Einscannen von Fotos für ein Fotobuch zum Nachschlagen oder sogenannte „Ich-Bücher“, die strukturierte Informationen über die Personen wiedergeben, sind weitere Möglichkeiten der Arbeit.
„Biographiearbeit ist leistungsfrei“, stellte der Heilpädagoge und Erwachsenenbildner am Samstag auch klar. Die Menschen mache die Arbeit mit der eigenen Biographie aber ausgeglichener und beschere schöne Momente in einer zwischenmenschlichen Begegnung.
Die Lebensrückschau dient dem Verständnis der Gegenwart, einer möglichen Planung und Gestaltung der Zukunft. Den Biographiearbeitern solle aber auch bewusst sein, dass es zu herausfordernden Situationen kommen kann. Tränen, Erinnerungsexplosionen, aber auch Blockaden fordern viel Fingerspitzengefühl. So kann das Erzählen über den Lieblingsgegenstand schöne Erinnerungen wecken, aber auch verdrängte Emotionen hervorrufen. Deshalb ist vor allem eines bei der Arbeit mit Biographien wichtig: Die Wertschätzung des Gegenübers, Respekt und vor allem Interesse statt Neugierde.
Die Arbeitskreise „Von Mensch zu Mensch“ finden im zweiwöchigen Rhythmus in den Räumen der KHG, Hofstallstraße 4, statt. Interessierte sind herzlich willkommen.
Nähere Informationen unter www.khg-wuerzburg.de oder bei Gabriele Denner unter gabriele.denner@khg-wuerzburg.de.